Flugverkehr

Die Zukunft des Fliegens – Faire Wettbewerbsbedingungen für alle Mobilitätsformen schaffen

Ein Interview mit Gerhard Kalinka aus Rangsdorf

Bündnisgrüner Direktkandidat im Wahlkreis 62

In den Medien wurde immer wieder darüber diskutiert: Wollen die Grünen das Fliegen – und insbesondere Kurzstreckenflüge – verbieten?

Nein, dieses Problem dürfte sich von selbst lösen, denn Kurzstreckenflüge bringen keinen Zeitvorteil gegenüber einer Bahnfahrt. Mit dem Zug ist man auch gleich in der Innenstadt und kann die Anschlussverbindungen des ÖPNV nutzen. Fliegen erzeugt erheblichen Lärm, Feinstaub und CO2 – die Bahn fährt dagegen mit Ökostrom. Somit bleibt noch der Preisvorteil des Fliegens, der aber darauf beruht, dass sich viele Kosten nicht im Preis des Tickets wiederfinden. Darauf gehe ich später noch ein. Wir Grünen wollen hier nichts verbieten, sondern den ökologischen und ökonomischen Wettbewerb auf Augenhöhe herstellen. In diesem Fall wäre die Bahn vorn.

Warum muss die Diskussion über das Fliegen geführt werden?

Die Passagierzahlen im Flugverkehr verdoppeln sich etwa alle 15 Jahre. Auch die Pandemie dämpft diesen Trend nur kurz. Flugzeuge setzen pro Passagier*in und Kilometer am meisten CO2 von allen Verkehrsmitteln frei. Hinzu kommen sogenannte Nicht-CO2-Effekte in großen Höhen, die die Klimawirkung verstärken. Die Luftfahrtindustrie hat eine Strategie vorgelegt, wie sie CO2-frei werden will: Zunächst wird an effektiveren Antrieben gearbeitet. Dieser Effekt wird aber von der übergroßen Steigerung der Passagierzahlen zunichte gemacht. Ab 2021 will die Luftfahrtbranche CO2-neutral wachsen. Wenn zukünftig also mehr CO2 ausgestoßen wird als 2019, müssen diese Emissionen woanders eingespart werden – zum Beispiel durch Aufforstung oder Steigerung der Energieeffizienz. Erst ab 2035 sollen durch alternative Antriebe jährliche CO2-Emissionen unter das Niveau von 2019 sinken; ab 2050 soll die Luftfahrt CO2-neutral sein. Die Forschung zu alternativen Antrieben ist aber in einem sehr frühen Stadium – und durch die Nicht-CO2-Effekte heißt CO2-neutral leider nicht klimaneutral.

Was sind denn Nicht-CO2-Effekte?

Flugverkehr hat auch durch andere Emissionen Einfluss auf das Klima: Hierzu gehört die Emission von Wasserdampf, Stickoxiden und Aerosolen, die entweder direkt auf den Treibhauseffekt wirken oder die Energiebilanz z. B. durch Wolkenbildung beeinflussen. Insgesamt ordnet das Umweltbundesamt den Nicht-CO2-Effekten eine doppelt so hohe Klimawirkung zu wie den reinen CO2-Emissionen. 

Wie könnten denn alternative Antriebe aussehen?

Es ist ja gerade Teil des Problems, dass es keine wirklich überzeugenden Alternativen gibt. Reine Elektroantriebe schließen sich wegen des Gewichts der nötigen Batterien aus. Brennstoffzellen und die Direktverbrennung von Wasserstoff haben beide das Problem, dass die Speicherung der benötigten großen Mengen an Wasserstoff technologisch noch extrem aufwendig ist. Sofort kompatibel mit der bestehenden Flotte wären sogenannte nachhaltige Flugtreibstoffe. Diese werden entweder aus nachwachsenden Rohstoffen – also Biokraftstoff – oder synthetisch aus Wasserstoff und CO2 hergestellt. Während die Herstellung von Biokraftstoff in Konkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung steht und eventuell wertvolle Natur- und Landwirtschaftsflächen verdrängt, ist für die Herstellung der synthetischen Kraftstoffe sehr viel regenerativ erzeugter Strom nötig. Dass für die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden soll, klingt erstmal gut, ist aber gar nicht so leicht: Obwohl das in der Atmosphäre enthaltene CO2 den größten Beitrag zum menschengemachten Klimawandel liefert,  ist der absolute Anteil in der Atmosphäre nur sehr klein. Deshalb sind extrem große Anlagen dafür nötig, die entsprechend viel Energie brauchen Ob das, was im Labor schon funktioniert, am Ende auch in industriellem Maßstab möglich sein wird, ist daher noch völlig unklar. Und die Nicht-CO2-Effekte entstehen auch bei nachhaltigen Flugtreibstoffen. Am klimafreundlichsten ist eine Verringerung des Flugverkehrs insgesamt, beispielsweise durch Video- statt Präsenztreffen. Die Pandemie hat gezeigt: Eine Halbierung der Passagier*zahlen ist möglich.

Was wollen denn die Grünen machen, damit es in der Zukunft für Kurzstreckenflüge attraktive Alternativen gibt?

Was die Reisedauer angeht, ist die Bahn in vielen Fällen schon eine attraktive Alternative. Wir wollen den Bahnverkehr weiter ausbauen, alle deutschen Großstädte mit regelmäßigen Verbindungen an den Fernverkehr anschließen und in ländlichen Räumen in größerem Umfang Anschlüsse an das Schienennetz reaktivieren. Der Ausbau von Busverbindungen soll die schnelle Erreichbarkeit des Schienenfernverkehrs sicherstellen. Bahnfahren muss aber auch im wirtschaftlichen Vergleich gegenüber dem Flugverkehr bestehen. Hier wollen wir versteckte Subventionen des Flugverkehrs abbauen. Flughäfen werden oft aus Steuergeldern bezahlt und den Fluggesellschaften preiswert zur Verfügung gestellt (siehe Willy-Brandt-Flughafen/BER), Trassengebühren fallen nicht an und es werden keine Steuern auf Treibstoff erhoben. Die Kerosinsteuerbefreiung und die Befreiung von der Mehrwertsteuer für internationale Flüge sind zwei wesentliche Beispiele von versteckten Subventionen.

Und wie kommt man ohne Flieger nach Mallorca und zu anderen Urlaubsinseln?

Gar nicht. Deshalb hat Flugverkehr einen berechtigten Platz in einer globalisierten Welt. Aber die Frage muss erlaubt sein: Wie viel Flugverkehr verträgt die Atmosphäre, wie viel die Menschen am Boden? Wo sind die sinnvollen und notwendigen Grenzen des Wachstums? Ich fliege schon lange nicht mehr in den Urlaub.

Ist es nicht unsozial, wenn sich nur noch reichere Menschen das Fliegen leisten können?

Ich gönne allen Menschen ihren Urlaub, aber ein Ticket für 16 Euro nach Mallorca steht in keinem Verhältnis zu den wahren Kosten und Folgekosten des Flugs. Dieser muss die Kompensation von Umwelt- und Klimaschäden beinhalten, die anteiligen Kosten für die Flughafen-Infrastruktur sowie für angemessene Umsiedlung, aktiven und passiven Lärmschutz sowie Gesundheitsvorsorge der Flughafen-Anrainer. Unsozial ist, wer auf Kosten der Allgemeinheit ohne Rücksicht auf die Folgen fliegt. Es gibt kein Recht auf subventionierte Billigfliegerei.

Was möchtest du den Leser*innen noch mitgeben?
Dass wir Grünen das Fliegen, Auto- und Motorradfahren grundsätzlich verbieten wollen, ist Unsinn. Aber ein “weiter so” wie bisher kann es auch nicht geben. Wir wollen auf die Veränderungen des globalen Klimas sinnvoll reagieren. Mit dem Pariser Abkommen haben sich 196 Länder dieser Welt darauf geeinigt, den Ausstoß der Treibhausgase so zu reduzieren, dass die Erhitzung des Planeten begrenzt wird. Wenn wir alle eine gesunde, lebenswerte Welt erhalten wollen, müssen wir auch vernünftige Einschränkungen hinnehmen. Nicht, weil uns das Spaß macht, sondern weil es notwendig ist. Früher gab es großes Geschrei um die Vorschriften zu Sicherheitsgurt, Dosenpfand, bleifreiem Benzin und den Kontrollgängen der Schornsteinfeger*innen. Rückblickend haben heute alle begriffen: Das waren sinnvolle Vorgaben, die uns nützen. Ich bin überzeugt, dass das bei den Klimaschutzmaßnahmen auch so sein wird. Und ich bin sicher: Vernunft setzt sich am Ende durch.


Das Interview wurde geführt von:
Andrea Lübcke aus Eichwalde
(Kreistagsabgeordnete, Gemeindevertreterin & Fraktionsvorsitzende Eichwalde)